WIELAND GIEBEL - REISETAGEBUCH, SEITE 8
 
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Baran, der in Deutschland studiert und gelebt hat, ergriff die Chance, beim Aufbau des Landes dabeizusein. Er leitet Projekte und regelt für die Firma vieles im Land.

Super Rührei, immer Tee fertig, kann jede Zeichensprache der Welt und erkennt gleich, wer hungrig sein könnte.

Siggi Martsch Barzani, sprunghafte Stichworte
Siggi kennt Barzani seit etwa 1990. Siggi war zehn Jahre im Landtag in Nordrhein-Westfalen und kam als Parlamentarier in engeren Kontakt mit Kurden und Kurdistan. Er hat Flüchtlingslager im Norden aufgebaut, über ein Jahr in Zakho an der irakisch türkischen Grenze gelebt und für Caritas 1991 ein Flüchtlingslager aufgebaut, als am 15. Juli 1991 sämtliche Organisationen den Irak verließen. Er ließe eine Pontobrücke aus Resten alten Materials bauen, um die Versorgungslage zu verbessern. Bei Basran wurden 8 000 Menschen von Saddams Leuten umgebracht, er baute Häuser für die Witwen.
Er wurde vom israelischen Mossad in Athen entführt, ziemlich zur gleichen Zeit, als ich vom britischen SAS entführt wurde. Und in beiden Fällen waren unsere Frauen mit dem ersten Kind schwanger, kurz vor der Geburt.
Er hat für unterschiedliche Organisationen in vielen Ländern gearbeitet, auch auf dem Balkan. Ganz früher war er bei der Bundeswehr, wo er eine Scharfschützenausbildung gemacht hat. Davor war er im Verband der Kriegsdienstverweigerer, wo wir zusammengearbeitet haben. Ich hatte damals in dem Verein mit 10.000 Mitgliedern und 100 Gruppen die Ortsgruppe Bochum gegründet, so kam Siggi dazu. Vorher war ich im Bundesvorstand des Verbandes sowie Bundesgeschäftführer, bis er von der DKP putschartig übernommen wurde. Wir haben in Bochum viele Projekte zusammen gemacht. Siggi kam als Drucker über die Vermittlung von Dagmar zum VK in die Zentrale nach Kassel. Mit Dagmar hatte er in Bochum in Lehrlingsgruppen zusammengearbeitet und mit anderen an einem Hörspiele gearbeitet mit Frank Göhre, dem Krimi Autoren und ehemaligen Buchhändler.
Weihnachten 1997 war er drei Wochen mit seiner Frau bei Arafat und sie besuchten dessen Familie und viele Projekte. Wie Siggi von Karatschi über den Cyberpaß nach Kabul kam, weiß ich nicht mehr.

Staat und Gesellschaft
Ich kann mir nicht vorstellen, daß die eine Gesellschaft, die ihre Bürger nicht an der Macht beteiligt, erfolgreiche sein kann. Der Zusammenhang zwischen persönlicher Initiative sowie Partizipation und tatsächlicher Beteiligung, nicht als rhetorische Floskel, ist ja offensichtlich. Wenn es im Land keinen echten Wettbewerb gibt, wie soll er dann außerhalb funktionieren?
Wie sieht das jetzt meinem kurzen Eindruck nach in Kurdistan aus? Kurdistan ist ein quasi-Staat, unabhängig verwaltet, nicht von Bagdad aus. An der Grenze bekommt man einen Stempel in den Paß auf dem steht Republic of Iraq – Kurdistan Region. Einmal Enter, später Exit, das war es. Wenn man länger als zehn Tage bleiben will muß man sich irgendwo melden. Der Stempel kostet nichts, ich habe ihn ganz unproblematisch erhalten. Im türkischen Reisebüro in Kreuzberg bekam ich die Auskunft, daß es in Arbil keinen Flughafen gibt, keine Flüge hingehen und man nicht in das Land könne (zwei Reisebüros). Im persischen Reisebüro in Charlottenburg bekam ich die Auskunft, daß ich einen Flug über Teheran nach Arbil nur buchen könne, wenn ich vorher ein irakisches Visum vorlege. Der Staat existiert und wir offensichtlich ganz gut verwaltete, denn es ist absolut ruhig, ich habe keine irgendwie bedrohliche Situation erlebt oder sie mir aufgrund der Umstände vorstellen können. Zuletzt Anfang 2005 haben zwei arabische Geistliche Selbstmordattentate verübt. Der Geheimdienst wird aber immer besser, seitdem ist nichts passiert. Es wird überall gebaut, investiert, die Straßen sind neu, man sieht, daß ganze Siedlungen neu aus dem Boden schließen, teils einfach, teils sehr gehoben.
Die Gesellschaft beruht auf Stammeszugehörigkeit, es gab ja eigentlich nie einen kurdischen Staat. Rechtssicherheit und Transparenz scheinen zuzunehmen, wenn auch nicht so, wie wir es uns idealerweise (auch für Deutschland) vorstellen. Ich hatte nicht den Eindruck, daß es in Kurdistan eine starke Kontrolle über die Gesellschaft gibt wie in autoritären Systemen. Das gilt nicht für den Geheimdienst, der den Terror vor der Tür halten muß. Und der ist in unmittelbarer Nähe, in Mosul. Wir haben immer einen Bogen von etwa zwanzig Kilometern um die Stadt gemacht, um die „irren Araber“. Dass die Gesellschaft mehr als nur oberflächlich renoviert wird, könnte durch die vielen Kurden unterstützt werden, die lange im Ausland waren, in Europa oder Amerika.
Kurdistan ist bei uns bekannt als Flugverbotszone. Von 1991 an war der irakischen Armee auf Grundlage einer UN-Resolution von den Amerikanern verboten worden, Kurdistan mit dem Flugzeug zu überfliegen. Die Iraker jagten die Menschen mit Helikoptern. Seitdem ist Kurdistan immer mehr zum selbständigen Staatsgebilde geworden. Über vier Jahre hat es einen militärischen Kampf zwischen PUK, Patriotische Union Kurdistans, und KDP, Demokratische Partei Kurdistans, gegeben, der 1998 eingestellt wurde. Bei den Wahlen 2005 kandidierten die Parteien auf gemeinsamer Liste. Die Rivalitäten um die Macht sitzen aber noch tief.

Kurdistan schwimmt auf Öl. 19 Prozent der Öleinnahme des Irak gehen an Kurdistan, das ist ein Verteilerschlüssel auf nationaler Ebene. Kurdistan hat rund 30 Prozent der Ölreserven des Irak. Zwei neue, große Ölfelder wurden in den vergangenen 15 Monaten gefunden, noch nicht erschlossen. Käme Kirkuk zu Kurdistan, wäre der Anteil noch höher. Kirkuk wurde während des Angriffs der Amerikaner, die vom Süden kamen um Saddam zu stürzten, von den Kurden alleine eingenommen, dann wieder abgegeben. Der Bevölkerungsstruktur nach, so die Kurden, spricht alles dafür, Kirkuk zu Kurdistan zu schlagen. Dann wären die wirtschaftlichen Aussichten Kurdistans noch berauschender.

Es gibt Länder auf dieser Welt, in denen es kein Roaming gibt. Da geht dann das Handy auf einmal nicht mehr. Ohne lokale SIM-Karte ist man verloren. Mit der lokalen Karte, die ich dann habe, kann ich in die ganze Welt und innerhalb von diesem Teil von Kurdistan telefonieren, aber nicht in den anderen, von der PUK beherrschten. Festnetz gibt es kaum, die Mobilfunkgesellschaft gehört einem Verwandten Barazanis, deren Zentrale befindet sich auf dem Regierungshügel.

Im Irak gab es keine Oppositionspolitik (mehr), die Befreiung kam von außen. Anders in Kurdistan. Viele Jahre standen die Kurden und deren Soldaten, die Peshmerga, im Kampf gegen das Saddam Regime. Unter internationalem Schutz ist der Staat faktisch autonom.

Im Irak hatten 20 Prozent Sunniten um Saddam 80 Prozent Schiiten unerdrückt. Bei einem Teil der Auseinandersetzungen heute geht es um Abrechnung, um Rache. Das dürfte aber inzwischen gelaufen sein. Die Schiiten werden unterstützt aus Saudi Arabien (jeweils aus, nicht von), aus dem Iran und abgeschwächt aus Syrien. Dabei geht es um die Macht im Staat, wo die aber nicht zu erreichen ist auch um Destabilisierung.
Volker Perthes, der auch vor einiger Zeit bei Siggi war, vertritt die These, daß die Auflösung der irakischen Arme ein Kardinalfehler der Amerikaner war, weil dadurch die Stütze von Staat und Verwaltung weg war. Die Soldaten wurden entlassen, gedemütigt, hatten keine Arbeit, ließen Waffen und mindesten Millionenbeträge mitgehen, schlossen sich schließlich Milizen an oder, noch schlimmer, infiltrierten Armee und Polizei. Im Süden gab es wiederholt Gefechte zwischen Amerikanern und regulären irakischen Truppen, die Amerikaner beschossen hatten, die sich dann in die Kaserne zurückzogen und dort von den Amerikanern plattgemacht wurden.
Wäre die Teilung des Landes in drei Teile eine Lösung? Für Kurdistan sicher, will dann Ruhe einkehren würde und die Entwicklung sich weiter entfalten könnte. Für den schiitischen Süden möglicherweise auch. Aber es würde im mittleren Teil um Bagdad keine Ruhe einkehren. Diesen Teil zu Syrien oder zum Iran?



Blicke auf die Stadt, auf ein bürgerliches, christliches Viertel.

Immer noch werden an Checkpoints in den Wohnbezirken die Straßen zusätzlich kontrolliert. So kommt es, daß die letzten beiden Anschläge im Anfang 2005 stattfanden, parallel ausgeführt von moslemischen Geistlichen.

Abends im Sheraton mit Siggi und seinem Sohn Horst (27) Essen. Das ist der gesellschaftliche Treffpunkt, da sind die Expatriots aller Länder versammelt. Es gibt da meist ein Buffet und Fisch wird gegrillt und auf der Karte gibt es die üblichen Vorspeis und Speisen des Orients. Ich esse ja immer gern Homos, ist aber hier nicht so würzig. Wir treffen Deutsche und viele andere, die von einer Industriemesse in Sulaymaniyah (wo die Partei PUK unter Jalal Talabani stärker ist, in Erbil die KTP unter Massoud Barzani, jetzt Regierungschef) kommen, der anderen großen kurdischen Stadt. Wir treffen auch zwei Iranerinnen, Fariba und Pantea, die uns später weiter begegnen werden.
Horst arbeitet seit vielen Jahren mit seinem Vater zusammen, ist Organisator, Fahrer, Allzweck-Reparateur mit einem ebenso phänomenalen Gedächtnis für Namen und Situationen wie sein Vater.

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