WIELAND GIEBEL - REISETAGEBUCH, SEITE 2
 
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Diskussionen über Ladenöffnungszeiten scheinen hier nicht vorzukommen, es ist ein Uhr morgens

Am Sonntagmorgen findet eine Reihenuntersuchung von Augen statt. Näheres konnte ich nicht rausfinden, weil das nur auf türkisch möglich gewesen wäre.

In der Moschee (vielleicht auch christliche Kirche, es sah aus wie in Klosterhof) führt und erklärt eine junge Frau.

So sieht der Hof aus, kann mir jemand sagen, um was es sich handelt?

Mit Hasam Yildiz unterhielt ich mich von Ladeninhaber zu Ladeninhaber über die geschäftliche Lage, über die Amerikaner bei ihm und bei uns, schließlich auch über einen schönen Picknickteppich, den ich gern hätte, außen herum Teppich, innen Kelim (gewebt, nicht geknüpft).

Diyarbakir hatte ich mir ganz anders vorgestellt. In meinem APA-Guide Türkei aus Anfang der neunziger Jahre ist eine Stadtmauer zu sehen, die ganz von Natur umgeben ist, von Feldern und Grün. Heute ist da Stadt. Klassisch hieß die Stadt Amidiya, wurde 297 n. Chr. von Rom annektiert und war wesentlicher Bestandteil der Verteidigungslinie zwischen dem Römischen Reich und dem Reich der Parther/Sassaniden in Persien. Die Perser wurden damals von den Türken unterstützt (erfolglose Belagerung 359), die so erstmals nach Anatolien kamen. Mit der ersten großen Expansion des Islam wurde die Stadt 639 von Kalid Ibn Walid eingenommen. Heute ist sie die kurdischste aller Städte. Im August 1988 flüchteten rund 15 000 Kurden aus dem Irak vor den Giftgasangriffen nach Diyarbakir und wurden in Zeltlagern untergebracht.
Bis zu meiner Abfahrt wußte ich nicht, wie ich reise. Von kompliziert zu einfach hatte sich die Reiseplanung entwickelt, schließlich habe ich nur einen Flug nach Istanbul gebucht. Von dort hätte ich mit dem Bus fahren können oder mit dem Flieger nach Diyarbakir (Betonung auf dem ersten a) oder, aber erst am Montag, direkt nach Erbil. Ich war zu erschöpft, um Busbahnhof zu fahren und habe den nächsten Flug genommen. Der Anfang meiner Reisen aus der Erschöpfung heraus sowie Reisevorbereitung im letzten Moment führen immer zu einem Zustand am Rande des Koma zwischen dauernd einschlafen, lesen, aber immer absolut genau aufpassen müssen, daß ich nichts verliere, fallenlasse, übersehe. Was mich vorher nervös gemacht hat, war der vierseitige Artikel im Börsenblatt über mich, der sich liest wie ein Nachruf und die so herzlichen Verabschiedungen, wie ich sie von Familie, Freunden und Mitarbeitern noch nie erlebt hatte, die sich alle wünschten, daß ich heile zurückkomme. Ob ich die Lage doch falsch einschätze?

Sonntag, 12. November 2006
Ich bin kein Exot in der Stadt, als sie sie mir morgens ansehe. Die Menschen sehen mich, starren mich aber nicht an. Kinder kommen, fragen aus Routine nach „Money, Money“, sind nicht aufdringlich. Wenn Kinder kommen und reden, wenn sie aufhören Fußball zu spielen, bildet sich auch in abgelegenen Teilen der Stadt nicht nach wenigen Minuten eine Massenansammlung, die ich nicht mehr loswerde.

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