WIELAND GIEBEL - REISETAGEBUCH, SEITE 5
 
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Bohnensuppe und Gemüse und Reis und Wasser und Tee alles für einen Euro mit Blick auf die abfahrbereiten Busse und das bunte Treiben auf dem Busbahnhof. Ich mußte drei Stunden warten, weil der vorige Bus ausgebucht war, nichts zu machen.

Die Busse sind komfortabel, modern, meist deutsch. Auf der Fahrt (10 Euro) gibt es Kaffee oder Tee, Wasser, manchmal Salztangen, manchmal Plätzchen gratis von einem Busbegleiter. Man kann auch größere Strecken gut mit dem Bus fahren. Die Sitze sind nicht so eng wie im Flugzeug. Der Bus hält immer mal wieder. Es geht erst durch schroffe Felsen, so könnte das wilde Kurdistan Karl Mays aussehen, so sieht es aber auch in irakisch-Kurdistan Richtung iranischer Grenze aus, wo der Roman von Karl May angesiedelt ist. Baumwollfelder, Oliven, Schafe, Rinder, Wein, Wasserläufe aus den hohen Bergen. Mir fällt erst auf, daß keiner im Bus telefoniert, nachdem ich angerufen wurde und mich ein Fahrgast darauf hinweist, man müsse das Handy ausstellen, weil sonst die Buselektronik gefährdet sei. Mardi in den Bergen ist eine weitere uralte Stadt. In der Nähe leben syrische Christen, die wiederum in Kurdistan mehrere Schulen haben, in denen assyrisch gesprochen und gelehrt wird. Ommer wider fällt mir auf, wie freundlich und nicht aufdringlich die Menschen sind, so ganz anders als beispielsweise in Tunesien oder Ägypten, wo einen die Händler nicht in Ruhe lassen.

Bauwollfelder und kleine Dörfer in einer fruchtbaren Landschaft im Tal des Tigris, der die Grenze zu Syrien bildet. Im Hintergrund die hohen Berge sind türkisch. Frauen ernten die Baumwolle mit der hand. Es gibt Traktoren und Eselskarren.

Eine Raststätte. Das Handy geht überall und bis in das letzte Dorf gibt es Fernsehschüsseln. Efes- Ber kennt man ja aus Kreuzberg, dazu gibt es Fleischspieß.

Am Tag meiner Abreise schreibt Rainer Hermann in der FAZ vom Samstag, 11. November 2006, unter dem Thema „Abu Simbel in Anatolien“, daß Ministerpräsident Erdogan im September den Grundstein für den letzten großen Staudamm in Anatolien im Dorf Ilisu gelegt hat, 50 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, der in sieben Jahren gefüllt sein soll und so groß sein wird wie der Gardasee. Es geht dann ausführlich (und sehr gut, wie immer in den Berichten von Hermann) um die ökologischen Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Zerstörung des antiken Dorfs mit spektakulärer Kulisse (mehrer Spielfilme dort gedreht) Hasankeyf am Tigris, über den Widerstand der Region und internationaler Organisationen. Die Engländer hatten vor Jahren ihre Kreditzusage zurückgezogen, jetzt finanzieren Deutschland, Österreich und die Schweiz. Der Strom soll in die Metropolen im Westen der Türkei geliefert werden. 50 000 bis 80 000 Menschen werden umgesiedelt. Bei der Erzeugung von Spitzenstrom entstehe eine Flutwelle von sieben Metern. Bei einer Stauhöhe von 135 Metern beträgt die Wassertemperatur vier Grad. Die Flutwelle grabe das Flußbette tiefer, und damit sinke in der gesamten Region der Grundwasserspiegel.

Hier kommt der neue Staudamm hin, wie das nächste Foto bißchen weniger gut aus der FAZ abfotografiert. Herzlichen Dank.

Ein schönes Dorf geht unter, und es gibt heftigen Widerstand, der wahrscheinlich nichts mehr aufhalten kann, weil die Finanzierung, zu gutem Teil aus Deutschland, steht. Viele große Stausee, dieser so groß wie der Gardasee, graben irakisch Kurdistan das Wasser ab und liefern Strom in die türkischen Metropolen im Westen des Landes.

Ein Aspekt kommt in diesem Beitrag Hermanns über die Türkei nicht vor, daß nämlich die 22 Stauseen Ostanatoliens das Wasser von Euphrat und Tigris nicht nach Kurdistan weiterleiten. Wenn man in Kurdistan über Brücken fährt, fragt man sich zunächst, ob die so breit sind wegen des Schmelzwassers im Frühjahr. Wie zwischen Israel und den Nachbarn ist Kampf ums Wasser lange entbrannt. In Kurdistan wird man über die deutsche Finanzierung dieser Projekte nicht erbaut sein. Ich habe die Staudämme nicht gesehen, weil die vierspurig, manchmal fast wie eine Autobahn ausgebaute Straße entlang der syrischen Grenze führt. Man kann Syrien lange sehen, die türkische Grenzüberwachung aus Hochständen. Der Boden im breiten Tal des Tigris, begrenzt von hohen Bergen auf türkischer Seite, ist dunkelbraun und fruchtbar. Baumwolle wird angebaut und gepflückt von Kolonnen türkischer Frauen. Es gibt Traktoren, Eselskarren, kleine Dörfer in der Eben oder an den Berghängen. Die Schüler (auf der Rückfahrt gesehen) laufen große Strecken zu ihren Dörfern zurück.

Montag, 13. November 2006
Was wird mich erwarten bei der Fahrt über die Grenze? Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Es ist eine echte Grenzüberschreitung. Reisen, um sich selbst kennenzulernen, so was steht ja immer in Reiseführern. Ist die Grenze für alle auf? Bei schwierigen Grenzen hat man ja zuerst die DDR im Kopf. Auf der Hut sein. Nichts falsch machen. Auf keinen Fall lachen. Grinsen führt zur sofortigen Ausweisung. „Gänn se mol den gofferraum ...“
Wie sind die Grenzer hier drauf? Wie ist das Verhältnis zwischen denen auf türkischer und auf kurdischer Seite? Wie wird das Prozedere sein?

 
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